Ein Edelkastaniendorf? Ja, das gibt es im Taunus.
Ich denke, das ist etwas Besonderes – und darüber und über die Edelkastanie, die 2018 Baum des Jahres war, möchte ich euch heute berichten.
Die Edelkastanie mag es gerne warm – was macht sie denn dann in einem Mittelgebirge wie dem Taunus?
Mammolshain
Mammolshain ist ein Dorf, das zu Königstein gehört. Es liegt am Südhang des Hardtberges (409m) und bildet hier quasi einen „Balkon“ in die warme Rhein-Main-Ebene. Damit haben Mammolshain und auch das benachbarte Kronberg eine ideale Lage für den wärmeliebende Edelkastanienbaum … oder auch Esskastanienbaum oder „Kestebaum“, wie man ihn (nicht nur hier) nennt.
Man glaubt, dass Kreuzritter den Baum aus den südlichen Ländern, wo er eigentlich zu Hause ist, mit über die Alpen in die nördlichen Regionen gebracht haben.
Nachweisbar ist, dass Mammolshain bereits im 16. Jahrhundert die Anpflanzung sogar finanziell gefördert hat. Nun, die Früchte der Edel- oder Esskastanienbäume waren damals für die Bevölkerung ein sehr wichtiges Nahrungsmittel, sodass man verstehen kann, dass der Anbau unterstützt wurde. Edel-/Esskastanien sind sehr nahrhaft durch ihren hohen Stärkeanteil und schmecken köstlich. Nicht nur dem Menschen – auch das Vieh wurde früher damit versorgt. Mit ihr lässt sich eine gute Suppe kochen und man kann sie zu Mehl mahlen und somit auch zum Brotbacken nutzen.
Brot und Gebäck aus Edelkastanienmehl ist glutenfrei und erweitert somit den Speisezettel für Allergiker.
Auch das Holz kann man gut verwerten, zum Beispiel für Weinfässer oder Rebenpfähle. Dort wo Wein angebaut wird, trifft man oft auch auf die Edelkastanie. Beide lieben die Wärme über alles.
Mythologie
Edelkastanien speichern viel Sonnenenergie und gelten so als Kraftbäume, die Trost spenden und Mut machen.
Im alten Griechenland wurde die Edelkastanie als Baum des Zeus verehrt. Bei den Römern war es dann Jupiter – und hier gibt es gar eine römische Legende, wie die Edelkastanie – „Castanea“ zu ihrem Namen gekommen sein soll: Als Jupiter die wunderschöne Nymphe Nea verführen wollte, tötete sie sich lieber selbst, statt dem Drängen Jupiters nachzugeben. Als dieser dann jedoch von Reue ergriffen wurde, verwandelte er den Leichnam von Nea in einen wunderschönen Baum – die Edelkastanie – die „keusche Nea“ oder „Casta Nea“.
Symbol für die Keuschheit und die unbefleckte Empfängnis der Maria hat die Edelkastanie auch im Christentum: die Frucht ist eingehüllt in Stacheln und birgt in ihrem Inneren etwas Kostbares.
Sie gilt zudem als ein Zeichen der Auferstehung – denn sie treibt auch nach kräftigem Rückschnitt immer wieder aus.
Bei den Kelten
Bei den Kelten hatte die Edelkastanie ebenfalls eine besondere Bedeutung – in Norditalien gilt sie auch heute noch als Mittlerin zwischen Mensch und Anderswelt. Vögel, die sich auf ihr niederlassen überbringen Botschaften aus dem Zwischenreich.
Also mal ganz genau hinhören …
Heilwirkung
Die Blätter und Früchte können vielfältig in der Heilkunde eingesetzt werden, so zum Beispiel bei Atemwegserkrankungen, Beinbeschwerden, Durchblutungsstörungen, Durchfall und Rheuma. Je nach Beschwerden nimmt man die Esskastanien-Blätter als Tee ein oder verwendet sie zusammen mit den grünen Fruchtschalen als Auszug oder Dampfbad.
Hildegard von Bingen empfahl den Tee bei Keuchhusten und Entzündungen im Rachenraum und die Früchte bei Gicht, Konzentrationsstörung oder Herzschmerzen.
Hat man Stress kann man einige der gekochten Früchte verzehren – das macht einen klaren Kopf und stärkt die Nerven.
Spazierstock aus Kastanienholz
Wie wäre es mit einem Spazierstock aus Kastanienholz? Die wohlige Wärme des Holzes wärmt auch das Herz, stärkt die Venen und kräftigt den ganzen Körper.
Hildegard von Bingen schwört auf den Duft des Holzes:
„Nimm auch den Duft dieses Holzes auf, denn es trägt dem Gehirn Gesundheit ein“
– na dann …
… vielleicht reicht ja auch ein kleines Stückchen Holz, das man immer bei sich trägt und das einem gut als Schmeichler in der Hand liegt.
Redensart
Auf Otto von Bismarck soll die Redensart zurückgehen:
„Für jemanden die Kastanien aus dem Feuer holen“ …
Es sollte zum Ausdruck bringen, dass er als „politische Strategie“ gerne anderen die Arbeit überließ.
Bevor ich gleich nach Mammolshain zurückkomme, noch ein kurzer Ausflug zum Ätna:
2000 – 4000 Jahre alt – die Edelkastanie am Ätna
Am Osthang des Ätnas steht der Edelkastanienbaum mit dem Namen „Kastanie der hundert Pferde“. Seit einem Feuer ist er in drei Teilstämme geteilt. Heute ist nicht ganz klar, ob es sich tatsächlich um einen einzigen Baum handelt. Verschiedene Baumexperten schätzen sein Alter zwischen 2000 und 4000 Jahre. Damit wäre er einer der ältesten und größten Bäume Europas, wenn nicht sogar der dickste Baum der Welt. Darstellungen aus früheren Zeiten zeigen, dass in seinem Inneren mehr als 30 Pferde Platz fanden. Allein einer der Teilstämme hat einen Umfang von 22 Metern.
Dass der Baum den Namen „Kastanie der hundert Pferde“ trägt, geht auf eine mittelalterliche Geschichte zurück. Die Königin von Aragon sollte mitsamt ihrem Gefolge von 100 Reitern unter dem Kronendach des imposanten Baumes bei einem Unwetter Schutz gefunden haben.

Jean-Pierre-Louis-Laurent Hoüel – Voyage pittoresque des Isles de Sicile, de Malte et de Lipari. Paris, 1782. Castagno dei cento cavalli.
Zurück nach Mammolshain
Nach dem Ausflug in die weite Welt kommen wir zurück nach Mammolshain. Die Edelkastanie ist also wahrhaft ein besonderer Baum.
Deshalb verwundert es auch nicht, dass bis Ende des 19. Jahrhunderts das Sammeln der Esskastanien hier ab Mitte Oktober an der Tagesordnung war. Damals waren es eher parkartige Kastanienhaine, die von Unterholz freigehalten wurden, damit die Bäume ausreichend Sonne für das gute Wachstum der Früchte erhielten. Ein großer Teil der Ernte ging nach Frankfurt und landete dort in den Martinsgänsen.
Die Marktordnung aus dem Jahr 1757 führte Edelkastanien aus dem Taunus als Handelsware auf dem Wochenmarkt in Frankfurt auf, was den Familien aus Kronberg und Mammolshain ein kleines Zusatzeinkommen vermachte. Bereits Goethe soll seine Mutter ab und zu mit einem Korb Edelkastanien überrascht haben.
Was die Eisenbahn mit den Edelkastanien zu tun hat
Im Jahr 1878 soll es noch über 8000 Edelkastanienbäume in Kronberg und Mammolshain gegeben haben.
Dann kam die Eisenbahn: sie sorgte ab 1876 für eine rasche Verbindung zwischen Kronberg und Frankfurt – doch für die Edelkastanie bedeutete es fast das Aus.
Zum einen wurde viele Bäume gefällt, weil die reichen Frankfurter – nun schnell in den Taunus kommend – sich im warmen Kronberg ein Sommerhäuschen bauten und dafür Platz brauchten.
Jedoch noch einschneidender war die Eröffnung des Eisenbahntunnels durch den Schweizer Gotthard 1882. Nun konnten die preisgünstigen Maronen (die etwas größer sind als die heimischen Esskastanien), in großen Mengen von Italien nach Nordeuropa transportiert werden. Dieser Konkurrenz waren die Mammolshainer und Kronberger „Keste“ auf Dauer nicht gewachsen.
Die bislang lichten Esskastanienhaine wurden kaum mehr gepflegt und verwilderten zunehmend. Nur während der beiden Weltkriege erinnerte man sich an die leckeren Früchte als nahrhafte Nahrungsquelle.
Im Festbuch der 800-Jahre-Feier der Mammolshainer 1991 steht:
„Nachdem heute mit diesen Bäumen und ihren Früchten kein Nutzen mehr zu erzielen ist, nimmt der Kastanienhain einen natürlichen Verlauf — er verfällt in einen Urzustand.
Bei starkem Sturm knarren die Bäume, krachen bedrohlich die gewaltigen Äste und selten, aber doch wird einer der knorrigen Riesen in Schräglage oder ganz zu Boden gedrückt. Niemand kümmert sich darum, das Bruchholz bleibt einfach liegen, wenn es nicht gerade einen Durchgang versperrt. Die Natur nimmts uns nicht übel — das Unterholz bietet manchem Hasen oder bodenbrütendem Vogel Unterschlupf.“
Gerade das machen die heute wildromantischen Berghänge von Mammolshain aus: man trifft auf uralte Baumriesen, auf Totholzbäume und dazwischen immer wieder auf viele neue Baumausschläge.
Renaissance der Keste im Taunus
Seit 2006 darf sich Mammolshain nun das „Edelkastaniendorf“ nennen. Die Edelkastanie erhält wieder Beachtung. Es gibt inzwischen eine Fruchsortenanlagen mit mehr als 35 verschiedenen Edelkastaniensorten, um herauszufinden, welche Sorte am besten gedeiht.
2016 entstand das „Kastaneum“, ein Projekt des Regionalparks RheinMain. Dort wurden die bis zu 200 Jahre alten Bäume von Fremdbewuchs befreit, so dass hier wieder ein kleiner, lichter Kastanienhain entstanden ist. Man erkennt so auch wieder die Anpflanzung in Reih und Glied, wie es früher war, denn die Bäume lieben ja das Licht und die Sonne. Mit dieser Pflanzung wollte und will man eine gute Ernte erreichen.

Die „Sitzkastanie“ ist eine Besonderheit in Mammolshain

Blick auf Frankfurt am Main
Ein 325 Jahre alter Wurzelstock lebt weiter
Ein ganz besonderes Anliegen ist die Versetzung eines Wurzelstocks. 2017 wurde der Wurzelstock eines 325 Jahre alten Baumes von Kronberg nach Mammolshain umgepflanzt. Die Kastanie wurde 2017 wegen Neubau eines Studienzentrums gefällt. Der Edelkastanienexperte Johannes Schiesser aus Mammolshain, kümmert sich seitdem intensiv um die Wurzel. Es zeigen sich bereits Erfolge, denn der Wurzelstock hat an seinem neuen Ort bereits ausgetrieben und erste Früchte gebildet. So darf der alte Baum zu neuem Leben aufbrechen.
Da sage nochmal einer, dass Bäume verdammt sind, nur an einem Ort zu wachsen …
Abschließend kann ich nur empfehlen, das kleine Dorf am Südhang des Taunus einmal zu besuchen, um sich von den gewaltigen Edelkastanienbäumen und ihrem unbändigen Lebenswillen beeindrucken zu lassen.
Oder mache dich dort, wo du wohnst, auf die Suche nach diesen lebenshungrigen Bäumen, die sich nicht so leicht unterkriegen lassen.
Sie lehren uns, was immer kommen mag, nicht aufzugeben. Du findest einen Weg ans Licht und in die Sonne.
Kleiner Exkurs:
Edelkastanie, Esskastanie, Rosskastanie, Marone, Dauermarone … ?
Was ist was im Kastaniendschungel?
Der Edelkastanienbaum (Castanea sativa ) heißt auch Esskastanienbaum und gehört zu den Buchengewächsen (Fagaceae, Gattung: Kastanien).
Ihre Früchte heißen Edel-/Esskastanien (oder je nach Region Keste, Keschde, Keschtn …). Botanisch gesehen sind es Nüsse. Sie sind zu zweit oder dritt von einem braungelben, stacheligen 6 – 10 cm großen Fruchtbecher umschlossen.
Die Maronen (auch Marroni) sind eine spezielle Zuchtform der Edel-/Esskastanie. Maronen sind größer, süßer und länger haltbar.
Edelkastanien und Maronen sind erst reif, wenn sie zu Boden gefallen sind und die stacheligen Hüllen aufplatzen.
Es gibt auch noch die Dauermaronen. Sie gleichen den Maronen, bleiben jedoch länger am Baum hängen und müssen ab Ende November bis Dezember von Hand gepflückt werden. Dauermaronen sind nochmals länger haltbar als Maronen.
Den Namen haben Kastanien vom persischen Wort „Kasutah“, was übersetzt „die trockene Frucht“ heißt.
Die Gewöhnliche Rosskastanie
Die Gewöhnliche Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) dagegen gehört zur Familie der Seifenbaumgewächse (Sapindaceae, Gattung Rosskastanien).
Somit sind Edel-/Esskastanie nicht mit der Rosskastanie verwandt.
Die Rosskastanien selbst sind rundlich und dunkelbraun. In jeder Frucht finden sich ein bis zwei Samen.
Nicht zum Verzehr geeignet
Die Rosskastanie kann man nicht essen, sie ist leicht giftig ! – eignet sich aber prima zum Basteln.
Außerdem sind sie praktisch im Haushalt, weil man die Rosskastanien als Waschmittel nutzen kann. In den Früchten stecken viele sogenannte Saponine, die in Verbindung mit Wasser schäumen. Für weiße Wäsche sind sie nicht so gut geeignet, das sie Gerbmittel abgeben, die die Wäsche gelblich färben.
Die Osmanen trugen Rosskastanien angeblich mit als Pferdefutter und als Heilmittel gegen Pferdehusten. So gelangten sie auch zu uns und zu ihrem Namen. Heute sagt man jedoch, dass Pferde sie nicht fressen sollten, da sie Koordinationsstörungen nach dem Genuss bekommen können. Wildtiere fressen Rosskastanien gern.
Extrakte aus der Rosskastanie werden auch zu Heilzwecken angewandt (insbesondere zur Stärkung der Venen).

Die Kastanienmännchen werden aus Rosskastanien gebastelt 🙂
Quellen:
Baum des Jahres 2018 Edelkastanie
Die Edelkastanie waldwissen.net
Die Rosskastanie waldwissen.net
Unterschiede Edelkastanie – Rosskastanie
Ganz toller Artikel! Vielen Dank 💚
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Oh, vielen Dank, liebe Barbara 🙂
Schön, dass du ihn schon gelesen hast. Es ist ein toller Wald – und wenn du mal hier bist, solltest du ihn unbedingt besuchen.
Liebe Grüße sendet dir Annette
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Hi Annette, ich bin sooo ein Fan Deiner Beiträge, super schön. Und das Beste ist …“ das Gute liegt so nah“ und oft weis man es nicht. Ich mache mich auf alle Fälle dorthin auf den Weg und schick Dir von dort gute Gedanken. Vielen Dank für Deine Inspirationen und die Recherche. GlG Steffi
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Liebe Steffi, das freut mich sehr 🙂
Einen schönen Einstieg gibt es direkt gegenüber dem Quellenpark in der Kronthaler Straße oder am Friedhof Mammolshain parken und dann zu den Sitzkastanien und weiter auf einem Rundweg. Es wird dir/euch gefallen. Viel Spaß und liebe Grüße von Annette
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