Was das Windreisen mit dem Waldbaden zu tun hat – und dass man beim Reisen mit dem Wind auch Schiller treffen kann, davon handelt dieser Artikel.
Nun endlich hatte ich das große Glück beim 2. Waldbaden-Kongress in Bad Bergzabern mit Harald Ganswindt auf eine Windreise zu gehen. Nur um es nochmal zu sagen: nein es ist kein Künstlername – der Windnomade Harald Ganswindt heißt wirklich so.
In einem älteren Blogartikel schrieb ich schon einmal über meine Begeisterung zum Windreisen und nun am 19. September konnte ich dann Harald live begleiten. („Reisen mit dem Wind“)
Was das Besondere am Windreisen ist: man kennt sein Ziel nicht. Oh ja, ich weiß, „Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg …“ und Ähnliches werden mir nun alle Motivations-Coaches zurufen. Und nun schreibe ich hier, dass wir unser Ziel nicht kennen – und trotzdem wollen wir loslaufen. Ob das gutgeht?
Beim 2. Waldbaden-Kongress hatten sich nun erwartungsvoll 14 Reisewillige und ich um Harald gescharrt. Wir durften gespannt sein.
Naja, ich muss mich korrigieren: ein bisschen kennen wir unser Ziel – nur wissen wir so gar nicht, was uns dort erwartet, denn wir lassen den Wind unsere Strecke und unsere Richtung bestimmen.
Harald holt sein Windmessgerät aus einem kleinen Köfferchen und hält es in die Luft: wir haben Glück, denn es geht ein kleiner Wind. Windstille würde heißen, wir bleiben einfach hier Kurpark von Bad Bergzabern.

Die höchste Windgeschwindigkeit liegt bei etwa 12 Stundenkilometer, die niedrigste bei 2 Stundenkilometer. Gemessen hat Harald so etwa zwei bis drei Minuten. Unsere heutige Reisegeschwindigkeit liegt also bei 7 Kilometer in der Stunde (also der Durchschnittgeschwindigkeit).

Doch wohin wird der Wind uns schicken?
Harald holt dazu einen Seifenblasenbehälter heraus und Brigitte darf die Windrichtung ermitteln: ganz einfach mit etwas Hin- und Herschwenken des Seifenblasenstabes – die Seifenblasen geben ganz klar eine Richtung an: es soll heute nach Westen gehen.

Da wir nicht so viel Zeit haben (die Windreise ist ein Workshop im Rahmen des Kongresses), legen wir unser Ziel in 700 Meter Luftlinie im Westen (von den ermittelten 7 km/h) fest.

Auf der Karte finden wir unser Windziel hinter der Kneippstraße (du kannst dein Ziel im Smartphone eingeben oder auf einer richtigen Karte markieren).
Soviel also zum Ziel – das Ziel haben wir bestimmt, wissen aber nicht, was uns dort erwartet. Auf der Karte sehen wir, dass zumindest keine Bebauung dort ist, sondern Natur.
Harald stimmt uns darauf ein, was wir am Ziel machen. Eigentlich nichts Besonderes – und hier sind wir dann ganz bei der Idee des Waldbadens (auch, wenn das Ziel nun nicht im Wald wäre): wir wollen einfach wahrnehmen, was uns dieser Ort sagen will. Wir werden riechen, hören, lauschen, vielleicht schmecken, wenn es etwas zu naschen gibt. Wir werden uns einen Platz suchen zum Meditieren oder wir werden herumschlendern und uns treiben lassen. Vielleicht sagt uns der Ort etwas, vielleicht auch nicht, vielleicht werden wir den Ort genießen oder werden sogar froh sein, ihn wieder verlassen zu können – wer weiß …
Und los geht es, Harald gibt uns noch einen irischen Segensspruch mit auf den Weg:
Möge Dein Weg Dir freundlich entgegenkommen und der Wind Dir den Rücken stärken!
Auf dem Weg zu unserem Windziel gehen wir durch den Kurpark, kommen über eine Straße und an einer Kneippanlage vorbei. 600 Meter sind zurückgelegt … die Spannung steigt, wir sehen den Wald vor uns und insgeheim freuen wir uns alle, dass wir das Grün vor Augen haben. Tja, da sind wir doch ein bisschen mit Vorurteilen behaftet, denn als „richtige“ Windnomaden hätte uns auch die Stadtmitte in der entgegengesetzten Richtung willkommen sein müssen. Aber bei der ersten Windreise dürfen wir uns sicher freuen, dass der Wind heute ein Einsehen mit uns hatte.

Wir kommen tatsächlich in einem kleinen zauberhaften Waldstück an. Die Sonne linst durch die belaubten Bäume und begrüßt uns: Hallo ihr Windnomaden, tretet ein.
Harald lädt uns dann auch noch mit Worten ein:
Entspanne dich. Lass das Steuer los. Trudele durch die Welt. Sie ist so schön: Gib Dich ihr hin und sie wird sich Dir geben. (Tucholsky)
Ach, wie schön das ist, manche setzen sich hin, andere durchstreifen den Wald, Harald zeigt uns noch eine Yoga-Übung, mit der wir alle heilenden Kräfte der Bäume aufnehmen und sie in unserem Körper verteilen können. Das Besondere der Übung: wir geben uns auch wieder diesem Ort hin. Wir empfinden es alle als ein großes Geschenk, hier etwas Zeit verbringen zu dürfen.

Will uns der Ort etwas sagen?
Harald fragt nicht danach: jeder kann das für sich entscheiden. Jeder kann auch etwas von diesem Ort mitnehmen, wenn es dem Ort nicht schadet.
Das Gegenteil davon hat Stephan getan: er hat eine Flasche gefunden, sie mitgenommen und damit diesen Ort sogar beschützt.
Ein bisschen besonders ist diese Flasche allerdings auch und wir haben ganz schön gestaunt: in der Glasflasche ist bereits ein kleines Universum gewachsen.

Am Eingang zu unserem Wald haben wir dieses Schild gesehen:

Auch das nehmen wir als Geschenk mit.
Vor Ort konnte ich nicht sehr viel damit anfangen, von wem ist dieses Zitat, aus welcher Zeit und warum hier?
Zu Hause habe ich es nachgelesen und herausbekommen, dass es das Ende des Gedichtes „Die Weltweisen“ (1795 Erstdruck) von Friedrich Schiller ist:
…
Einstweilen, bis der Bau der Welt
Philosophie zusammenhält,
erhält sie das Getriebe
durch Hunger und durch Liebe.
Wer das Schild hier installiert hat, habe ich nicht herausbekommen. Zumindest muss es jemand gewesen sein, der sich Gedanken um die Natur, den immerwährenden Kreislauf der Natur, die Welt und den Menschen gemacht hat.
Ich dachte auch darüber nach – starke Worte sind das, denn im Endeffekt, so Schiller, sind es nur der Hunger (Nahrungsaufnahme an sich) und die Liebe (Fortpflanzung), die uns ausmachen.
Peter von Matt schreibt in „Öffentliche Verehrung der Luftgeister“:
„Was hält die Welt überhaupt zusammen? Was bewirkt, dass das Leben und Treiben auf diesem Planeten nicht einfach stillsteht und verkümmert und erlischt? Friedrich Schiller hat es auf den Begriff gebracht: Es ist der Hunger und die Liebe. Den Philosophen, welche glauben, das innerste Weltgesetz bestehe in ihren Systemen und ihrer Logik, reibt der Dichter im Gedicht „Die Weltweisen“ die … Verse unter die Nase: …“
Und weiter unten:
„Es geht also nicht nur um die Hungersnot, wenn wir von der Not des Essens reden. Es geht um das anthropologische Skandalon, dass Geist vom Körper immer abhängig bleibt, dass wir die sogenannte tierische Seite nie loswerden.“
(Quelle siehe unten)
Auch Freud nimmt sich dem Gedicht an bei seiner Trieblehre. Und Ludger Lütkehaus schreibt:
„Bei Schiller wie bei Freud nimmt Mutter Natur mit Hunger und Liebe ihre mütterliche Doppelbestimmung wahr, für die Erhaltung und den libidinösen Zusammenhalt ihrer Kinder zu sorgen.“ (https://www.karger.com/Article/Pdf/113072 (20.09.2020))
Tja, was hält die Welt zusammen – darüber lässt es sich im Wald gut philosophieren.
Ich nehme als Geschenk unseres Windzieles mit: „Mutter Natur sorgt gut für uns“.
Schiller betont das auch in dem Vers davor:
„… so übt Natur die Mutter Pflicht
und sorgt, dass nie die Kette bricht,
und dass der Reif nie springet…“
Was so viel bedeuten soll, egal wie weit sich der Mensch von der Natur entfernt, Mutter Natur sorgt dafür, dass der Kreislauf der Natur weitergeht.
Danke für dieses schönen Geschenk.
Wir bestimmen gemeinsam mit Harald noch unser nächstes Ziel – allerdings nur eher theoretisch, da wir zurück zum Kongresshaus müssen. Aber so geht Windreisen, wenn man länger Zeit hat: man kann es tagelang, wochenlang, monatelang … machen. Auf diese Weise hat Harald schon die interessantesten Ziele entdeckt. Sogar einen Film hat er daraus gemacht.
Das Windreisen gefällt mir. Es weckt meine kindliche Neugierde und zeigt mir Orte, die ich vielleicht nie entdeckt hätte, bringt mir Geschenke, die ich auf den ersten Blick nicht erkenne, macht mich nachdenklich, lässt mich Freude und Dankbarkeit verspüren und erlaubt mir, dass ich durch die Welt trudele“ – probiere es aus. Ich habe nur mit Seifenblasen angefangen. Doch auch Windmesser sind nicht teuer, und dazu eine Karte oder das Smartphone.
Du brauchst nicht viel – gehe los 🙂

Quellen (20.09.2020):
Kategorien:Allgemein
WordPress.com Hallo liebe Annette Bernjus, Einen schönen Artikel hast du geschrieben! Wirklich schön. Freue mich, wenn wir uns bald wieder sehen. Liebe Grüße Kerst
LikeLike